Samstag, 24. Januar 2009
 
Gefährlicher Biotreibstoff-Boom PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Ralf Leonhard   
Montag, 24. September 2007

Die Substitution fossiler Treibstoffe durch sogenannten Biosprit ist weder ökologisch noch nachhaltig. Mittelfristig werden dadurch Umwelt und weltweite Nahrungssicherheit gefährdet. Während USA und EU voll in die neue Technologie investieren, formiert sich eine breite Allianz von Kritikern.

Am 1. Oktober soll das erste große Bioethanolwerk Österreichs in Pischelsdorf (Bezirk Tulln) in Betrieb gehen. Die Agrana will dort jährlich 200.000 Kubikmeter Bioethanol und als Nebenprodukt auch 170.000 Tonnen Futtermittel erzeugen. Der reine Alkohol kann als Biosprit oder als Benzinzusatz verwendet werden. Die dafür notwenige Menge an Rohstoffen ist gewaltig: 520.000 Tonnen Weizen, Mais oder Rüben.

Selbst in Europa wird Österreich als Produzent von Bio-Treibstoffen ein Zwerg sein - weit hinter Frankreich, Spanien und Deutschland. Die Großproduzenten sitzen aber in Brasilien und den USA. Seit George W. Bush und Lula da Silva einen Energiepakt geschlossen haben, scheint dem Vormarsch der Biotreibstoffproduktion kein Limit mehr gesetzt. Die Kraftstoffgewinnung aus erneuerbaren Substanzen ist längst keine Angelegenheit von alternativen Landwirten mehr, sondern wurde zum gewinnträchtigen Wachstumszweig für die Erdölgiganten und Agrarmultis. Der größte Erzeuger von Biosprit in den USA ist die Shell Corporation, die sich auf eine Verdopplung der in Betrieb stehenden Autos auf eine Milliarde bis 2020 einstellt. Brasilien will bis zum übernächsten Jahr seine Ethanolproduktion von derzeit 12 Mio. Tonnen auf 16 bis 22 Mio steigern. Auch in den USA steigt die Produktion geometrisch: Die ursprünglich für 2012 angestrebte Bioethanolproduktion von rund 23 Mio. t könnte schon nächstes Jahr erreicht werden. Bis zum Jahr 2017 soll die Produktion von Biokraftstoffen auf rd. 110 Mio. t verfünffacht werden.

Erneuerbare Energie macht die Welt unabhängig von fossilen Brennstoffen und deren oft politisch unberechenbaren Exporteuren. Die Lösung für den steigenden Energiebedarf der Menschheit scheint gefunden.

Daran besteht wissenschaftlich untermauerter Zweifel. Die Umweltorganisation EcoNexus hat einen Aufruf an die EU gerichtet, ein sofortiges Moratorium für Produktionsanreize und für Importe von Agrotreibstoffen zu verhängen. Der Aufruf wurde bereits weltweit von über 150 Organisationen, darunter die Österreichische Bergbauernvereinigung (ÖBV), unterzeichnet.

Die Unterzeichner fürchten negative Auswirkungen auf die Nahrungssicherheit in Ländern des Südens, Vertreibung indigener Gemeinschaften und Kleinbauern, Bedrohung der Artenvielfalt sowie fortschreitende Abholzung von Primärwäldern und zunehmende Wasserknappheit.

Die Befürchtungen stützen sich auf zahlreiche Studien von UN-Organisationen und anderen unabhängigen Institutionen. In Kolumbien haben sich bereits in Drogengeschäfte verstrickte paramilitärische Vereinigungen durch die Vertreibung von Kleinbauern Millionen Hektar Land angeeignet. Die Interamerikanische Entwicklungsbank fördert private Ölplantagen mit 3 Mrd. Dollar. Indonesien hat im ersten Quartal 2007 die Investition von 17,4 Mrd. US-Dollar in Anbau und Verarbeitung von pflanzlichen Energieträgern beschlossen. 20 Mio. Hektar Land sollen in Plantagen für Biotreibstoffe verwandelt werden, die Hälfte davon in West-Papua.

Die sogenannte Tortilla-Krise, die sich zu Jahresbeginn in Mexiko in Aufständen entlud, kann als erster Vorbote der kommenden Konkurrenz von Nahrungsmitteln und Ölsaaten gesehen werden. Durch das Nordamerikanische Freihandelsabkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko wurde Mexiko zuerst abhängig von Maismehlimporten aus den USA. Dann stieg durch die zunehmende Nachfrage der Preis des wichtigsten Grundnahrungsmittels empfindlich an.

Auch in Brasilien sieht der Umweltexperte Johann Kandler die Nahrungsmittelproduktion gefährdet: „Da Konzerne, Banken und Investmentfonds massiv Geld investieren, sind die Bodenpreise mancherorts schon um 100% gestiegen, was Druck auf die Kleinbauern ausübt. Oft ist ihr letzter Ausweg, ein Stück unberührtes Land zu roden, um dort Nahrungsmittel anzubauen“. Die Biotreibstoffproduktion werde damit direkt und indirekt zum Auslöser für die Zerstörung weiterer Savannen und Regenwaldgebiete. Der Kampf gegen Treibhauseffekt und Klimawandel, so Kandler, „ sollte nicht auf Kosten der brasilianischen Bäuerinnen und Bauern und der letzten, unberührten Regenwaldgebiete dieser Erde geführt werden“.

Die Arbeitsbedingungen auf den Zuckerrohrplantage, wo Brasilen schon seit 30 Jahren Alkohol für den wachsenden Fahrzeugpark gewinnt, werden als menschenunwürdig beschrieben. Bis zu 14 Stunden unter sengender Sonne im Akkord für umgerechnet 8 Euro am Tag.

Der Boom der biologischen Treibstoffe hat bereits zahlreiche Kritiker. Aus mehreren Gründen:
- zum einen ist die CO2-Bilanz von Biosprit im besten Fall neutral,
- zum anderen werden durch die rasant steigende Nachfrage nach biologischen Energieträgern die Preise für Grundnahrungsmittel in die Höhe getrieben und der Landwirtschaft Flächen für die Produktion von Lebensmitteln entzogen.
- Da in den entwickelten Ländern nicht ausreichend Rohstoffe angebaut werden können, damit die überall aus dem Boden schießenden Ethanolwerke gewinnbringend arbeiten können, muss aus Übersee zugekauft werden. Das geht in Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas auch zu Lasten der Regenwälder. Global gesehen, kann der Klimawandel dadurch eher beschleunigt, als gebremst werden.

Schon entstehen aber mächtige aber teilweise äußerst ungewöhnliche Allianzen gegen den Vormarsch der „grünen“ Treibstoffe. So sieht sich etwa der kubanische Revolutionsführer Fidel Castro in seinem Krankenbett einer Meinung ausgerechnet mit dem Chef des umstrittenen Lebensmittelriesen Nestlé und den deutschen Bierbrauern. Nestlé-Chef Peter Brabeck-Letmathe diagnostiziert einen „Raubbau am kostbarsten Gut“, da zur Herstellung eines Liters Treibstoff 4560 Liter Wasser nötig seien. Für ihn ist das „ökologischer Wahnsinn“. Er rechnet mit einem drastischen Ansteigen der Lebensmittelpreise weltweit. Überspitzt gesagt würden die Autofahrer der reichen Industrieländer auf Kosten der Ärmsten der Welt subventioniert. Fidel Castro rechnet in der Parteizeitung „Granma“ vor, dass der Bio-Kraftstoff-Boom „mehr als drei Milliarden Menschen auf der Welt zum vorzeitigen Tod durch Verhungern und Verdursten“ verurteile. Vergleichsweise harmlos nehmen sich daneben die Sorgen des Deutschen Brauer Bundes aus: „Der Rückgang der Anbaufläche für Braugerste (1991 über 1 Mio. Hektar, 2006 noch knapp 548.000 ha)“ gefährde die Versorgung mit hochwertiger Braugerste. Eine Verdopplung der Rohstoffkosten sei zu befürchten.





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